Julija Lermontowa: Die erste Frau, die in Chemie promovierte – magna cum laude

Frauen waren zu der Zeit an Universitäten meist von Vorlesungen ausgeschlossen, eine Promotion gänzlich undenkbar. Das sollte sich im Fach Chemie im Jahre 1874 auch mit Hilfe von Hans Hübner ändern.

Der Mathematiker Karl Weierstraß hatte seine Verbindungen nach Göttingen eingesetzt, so dass Julija Lermontowa bei F. Wöhler und Hans Hübner vorstellig werden konnte und trotz einiger Widerstände in den Gremien dort promoviert wurde.

Lermontowa fertigte ihre Dissertation „Zur Kenntnis der Methylen-verbindungen“ in Berlin bei August Wilhelm von Hofmann an; die Promotion erfolgte 1874 in Göttingen bei Friedrich Wöhler, Hans Hübner und Johann Benedict Listing im Rigorosum und wurde mit magna cum laude bewertet.

Über die Terminvereinbarungen zwischen Hans Hübner und ihr hat sich im Nachlass Hans Hübner die Originalkorrespondenz ebenso erhalten wie Briefe und ein ausführliches Dankschreiben von Karl Weierstraß aus Berlin.

In ihren Lebenserinnerungen schreibt Julija Lermontowa über die Prüfung in Göttingen:
„… Anfang des Jahres 1874 habe ich meine Doktordissertation begonnen. Sie hieß „Zur Kenntnis der Methulen Verbindungen“. Dann bin ich nach Hause gefahren, um mich auf die Doktorprüfung vorzubereiten. Im Herbst desselben Jahres bin ich nach Göttingen gefahren, um die Prüfung abzulegen. Die Fahrt fiel mir sehr schwer: Ich musste in eine ganz fremde Stadt, zu unbekannten Professoren. Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich eine solche Prüfung ablegen und davor hatte ich Angst. Göttingen war damals eine noch eigentümlichere Stadt als Heidelberg. Die nicht besonders große Universität spielte dort eine wichtige Rolle. Es schien so, als ob es in der Stadt kein gesellschaftliches Leben außerhalb der in Universität gäbe. In den Straßen gab es nur Fußgängerverkehr, keine Kutschen. Wenn jemand eine Kutsche brauchte, musste man sie im Voraus bestellen. Selbst die Fahrt der Kutsche durch die Stadt war ein Ereignis.

Vor der Prüfung habe ich in Göttingen drei schreckliche Wochen überlebt. Ich und die Professoren haben sich auf die Prüfung vorbereitet. Endlich kam der schreckliche Tag: Ich wurde von mir völlig unbekannten Professoren geprüft: anorganische Chemie – Professor Wöhler, damals schon ein alter Mann; organische Chemie – Professor Hübner; Physik – Professor Listing und von einem Mineralogen, an den ich mich nicht erinnere. Die Atmosphäre der Prüfung hat mich überrascht: Sie fand abends statt, auf dem Tisch standen Tee, Kuchen und Wein. Ich wurde allein geprüft, die Prüfung dauerte zwei Stunden. In der Hauptprüfung – Chemie – wurde ich sehr lang und streng geprüft. Die Prüfung wurde als „colloquium“ durchgeführt. Besonders streng war Professor Hübner zu mir. Er hat mich nach verschiedenen Gebieten der organischen Chemie gefragt. Er selbst war nach dieser Prüfung ganz müde. Der alte Wöhler machte es mir leichter. Die Prüfung in den Nebenfächern war kürzer und leichter. Nach der Prüfung haben alle getrunken und gegessen und haben mir erklärt, dass ich die Note 1 in der Prüfung bekommen habe, was bei ihnen „magna cum laude“ heißt.

Professor Wöhler hat mir sofort einen Stein aus Titanit zum Geschenk gemacht, da er als erster das Element Titan entdeckt hat. Wie ich aus der Prüfung herausgekommen bin, daran kann ich mich nicht erinnern. Noch zwei bis drei Wochen danach, konnte ich nichts essen. Damals war es Sitte in Göttingen, allen Professoren, bei denen man Prüfungen abgelegt hatte, einen Besuch abzustatten. Das habe ich gemacht. Einer von ihnen, der Physikprofessor Listig, hat mich eingeladen, zu ihm zu ziehen, um mich in seinem Haus zu erholen, während mein Diplom gedruckt und meine Dissertation bestätigt werden sollte. Sie haben mir solche Aufmerksamkeit und Respekt erwiesen, dass ich das niemals vergessen werde. Ich habe einige Wochen bei ihnen gewohnt und bin dann mit unvergesslichen Eindrücken nach Hause gefahren. …